Predigt von Papst Franziskus: Eucharistiefeier zum weltjugendtag

31-07-2016 Vatican.va

31-07-2016 - Giornata Mondiale della Gioventù

 

APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS 
NACH POLEN AUS ANLASS DES 31. WELTJUGENDTAGES 
 
(27.-31. JULI 2016)

EUCHARISTIEFEIER ZUM WELTJUGENDTAG

HOMILIE DES HEILIGEN VATERS

Campus Misericordiae - Krakau
Sonntag, 31. Juli 2016

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Liebe junge Freunde,

ihr seid nach Krakau gekommen, um Jesus zu begegnen. Und das Evangelium erzählt uns heute ausgerechnet von der Begegnung zwischen Jesus und einem Mann, dem Zachäus, in Jericho (vgl. Lk 19,1-10). Dort beschränkt Jesus sich nicht darauf, zu predigen oder jemanden zu besuchen, sondern er will – wie der Evangelist sagt – durch die Stadt gehen (vgl. V. 1). Mit anderen Worten, Jesus möchte sich dem Leben eines jeden nähern, unseren Weg ganz und gar gehen, damit sein Leben und unser Leben sich wirklich begegnen.

Und so kommt es zu der äußerst überraschenden Begegnung, der Begegnung mit Zachäus, dem obersten Zollpächter, das heißt dem Chef der Steuereinnehmer. Zachäus war also ein reicher Mitarbeiter der verhassten römischen Besatzer; er war ein Ausbeuter seines Volkes, einer, der sich wegen seines üblen Rufes nicht einmal dem Meister nähern konnte. Doch die Begegnung mit Jesus verändert sein Leben, wie es für jeden von uns war und jeden Tag sein kann. Zachäus musste aber einige Hindernisse überwinden, um Jesus zu begegnen. Es war nicht leicht für ihn, er musste einige Hindernisse überwinden, wenigstens drei, die auch uns etwas sagen können.

Das erste ist seine geringe Körpergröße. Es gelang Zachäus nicht, den Meister zu sehen, weil er selbst klein war. Auch heute können wir Gefahr laufen, Jesus fern zu bleiben, weil wir uns ihm nicht gewachsen fühlen, weil wir eine geringe Meinung von uns selber haben. Das ist eine große Versuchung, die nicht nur die Selbsteinschätzung betrifft, sondern auch den Glauben angeht. Denn der Glaube sagt uns: » Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es « (1 Joh 3,1): Wir sind nach seinem Bild geschaffen; Jesus hat unser Menschsein angenommen und sein Herz wird sich nie von uns trennen; der Heilige Geist möchte in uns wohnen; wir sind zur ewigen Freude mit Gott berufen! Das ist unsere „Körpergröße“, das ist unsere geistliche Identität: Wir sind Gottes geliebte Kinder, immer. Begreift also, dass sich selbst nicht zu akzeptieren, unzufrieden zu leben und negative Gedanken zu haben bedeutet, unsere wahrste Identität nicht zu erkennen: Das ist, als wendete ich mich ab, während Gott mich anschauen möchte; es bedeutet, den Traum, den er für mich hegt, auslöschen zu wollen. Gott liebt uns so, wie wir sind, und keine Sünde, keine schlechte Angewohnheit, kein Fehler bringt ihn davon ab. Für Jesus – das zeigt uns das Evangelium – ist niemand minderwertig und entfernt, niemand unbedeutend, sondern alle sind wir bevorzugt und wichtig: Du bist wichtig! Und Gott rechnet mit dir aufgrund dessen, was du bist, nicht aufgrund dessen, was du hast: In seinen Augen ist es absolut unbedeutend, welches Kleid du trägst oder welches Handy du benutzt; es ist ihm nicht wichtig, ob du mit der Mode gehst, sondern du selbst bist ihm wichtig, so wie du bist. In seinen Augen bist du wertvoll, und dein Wert ist unschätzbar.

Wenn es uns geschieht, dass wir in unserem Leben wenig erwarten, anstatt hohe Ziele anzustreben, dann kann uns diese große Wahrheit helfen: Gott ist in seiner Liebe zu uns treu, sogar hartnäckig. Er wird uns helfen, daran zu denken, dass er uns mehr liebt als wir uns selbst, dass er „immer für uns schwärmt“ wie der Unverbesserlichste der Fans. Immer erwartet er uns voller Hoffnung, auch wenn wir uns in unseren Traurigkeiten verschließen und ständig über empfangenes Unrecht und über die Vergangenheit brüten. Doch die Traurigkeit liebzugewinnen, ist unserer spirituellen Statur nicht würdig! Es ist vielmehr ein Virus, der alles verseucht und blockiert, der jede Tür verschließt, der verhindert, das Leben neu zu entfachen und von vorn zu beginnen. Gott ist dagegen hartnäckig hoffnungsvoll: Er glaubt immer, dass wir wieder aufstehen können, und findet sich nicht damit ab, uns erloschen und freudlos zu sehen. Es ist traurig, einen freudlosen jungen Menschen zu sehen. Denn wir sind immer seine geliebten Kinder. Erinnern wir uns daran zu Anfang jedes Tages! Es wird uns gut tun, es an jedem Morgen im Gebet zu sagen: „Herr, ich danke dir, dass du mich liebst; ich bin sicher, dass du mich liebst; mach, dass ich mich in mein Leben verliebe!“ Nicht in meine schlechten Angewohnheiten – die müssen korrigiert werden –, sondern in mein Leben, das ein großes Geschenk ist: Es ist die Zeit, zu lieben und geliebt zu werden.

Zachäus hatte ein zweites Hindernis auf dem Weg zur Begegnung mit Jesus: die lähmende Scham. Darüber haben wir gestern Abend gesprochen. Wir können uns vorstellen, was im Herzen von Zachäus vorging, bevor er auf jenen Maulbeerfeigenbaum stieg, es wird ein ziemlicher Kampf gewesen sein: auf der einen Seite eine gute Neugier, nämlich die, Jesus kennen zu lernen; auf der anderen das Risiko einer entsetzlichen Blamage. Zachäus war eine bekannte Persönlichkeit. Er wusste, dass er sich mit dem Versuch, auf den Baum zu steigen, in den Augen aller lächerlich machen würde – er, ein Vorgesetzter, ein Machtmensch, der aber so verhasst war. Doch er hat die Scham überwunden, weil die Anziehungskraft Jesu stärker war. Ihr werdet erfahren haben, was passiert, wenn ein Mensch so attraktiv wird, dass man sich in ihn verliebt: Dann kann es geschehen, dass man bereitwillig Dinge tut, die man sonst nie getan hätte. Etwas Ähnliches geschah im Herzen von Zachäus, als Jesus ihm so wichtig wurde, dass er für ihn alles getan hätte, denn Jesus war der Einzige, der ihn aus dem Fließsand der Sünde und der Unzufriedenheit herausziehen konnte. Und so gewann die lähmende Scham nicht die Oberhand. Zachäus » lief voraus «, sagt das Evangelium, » stieg hinauf « und dann, als Jesus ihn rief, » stieg er schnell herunter « (V. 4.6). Er ist das Risiko eingegangen, hat sich selbst aufs Spiel gesetzt. Das ist auch für uns das Geheimnis der Freude: die gute Neugier nicht auslöschen, sondern sich selbst aufs Spiel setzen, denn das Leben darf nicht in eine Schublade eingeschlossen werden. Vor Jesus kann man nicht mit verschlungenen Armen abwartend sitzen bleiben; ihm, der uns das Leben schenkt, kann man nicht mit einem Gedanken oder mit einer bloßen „Kurzmeldung“ antworten!

Liebe Junge Freunde, schämt euch nicht, alles vor ihn zu bringen, besonders die Schwachheiten, die Mühen und die Sünden in der Beichte: Er wird es verstehen, euch mit seiner Vergebung und seinem Frieden zu überraschen. Habt keine Angst, ihm mit dem ganzen Elan eures Herzens „Ja“ zu sagen, ihm großherzig zu antworten, ihm zu folgen! Lasst eure Seele nicht betäuben, sondern setzt auf das Ziel der schönen Liebe, die auch den Verzicht und ein starkes „Nein“ zum Doping des Erfolgs um jeden Preis und zur Droge eines Denkens verlangt, das nur um sich selbst und die eigenen Annehmlichkeiten kreist.

Nach der geringen Körpergröße, nach der lähmenden Scham gibt es ein drittes Hindernis, das Zachäus angehen musste – nicht mehr in seinem Innern, sondern in seiner Umgebung. Es ist die raunende Menge, die ihn zuerst aufgehalten und dann kritisiert hat: Jesus durfte doch nicht in sein Haus eintreten, in das Haus eines Sünders! Wie schwierig ist es, Jesus wirklich aufzunehmen, wie hart ist es, einen Gott zu akzeptieren, » der voll Erbarmen ist « (Eph 2,4)! Sie mögen euch hemmen, indem sie versuchen, euch einzureden, dass Gott fern, streng und wenig einfühlsam ist, gut mit den Guten und böse mit den Bösen. Stattdessen lässt unser himmlischer Vater » seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten « (Mt 5,45) und lädt uns ein zum wahren Mut: stärker zu sein als das Böse, indem wir alle lieben, sogar die Feinde. Sie mögen euch belächeln, weil ihr an die sanfte und demütige Kraft der Barmherzigkeit glaubt. Habt keine Angst, sondern denkt an die Worte dieser Tage: » Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden « (Mt 5,7). Sie mögen euch als Träumer beurteilen, weil ihr an eine neue Menschheit glaubt, die den Hass zwischen den Völkern nicht annimmt, die die Grenzen der Länder nicht als Barrieren ansieht und die eigenen Traditionen ohne Egoismen und Ressentiments hütet. Verliert nicht den Mut: Mit eurem Lächeln und mit euren offenen Armen predigt ihr Hoffnung und seid ein Segen für die eine Menschheitsfamilie, die ihr hier so gut vertretet!

Die Menge hat Zachäus an jenem Tag das Urteil gesprochen, sie hat ihn von oben herab angesehen; Jesus hingegen hat das Gegenteil getan: Er hat zu ihm hinaufgeschaut (V. 5). Der Blick Jesu reicht über die Mängel hinaus und sieht die Person; er bleibt nicht bei dem Schlechten aus der Vergangenheit stehen, sondern ahnt das Gute in der Zukunft; er gibt angesichts der Absperrungen nicht auf, sondern sucht den Weg der Einheit und der Gemeinschaft; mitten unter allen hält er sich nicht bei der äußeren Erscheinung auf, sondern schaut auf das Herz. Jesus schaut auf unser Herz, auf dein Herz, auf mein Herz. Mit diesem Blick Jesu könnt ihr eine andere Menschheit wachsen lassen, ohne zu erwarten, dass man euch lobt, sondern indem ihr das Gute um seiner selbst willen sucht und froh seid, euer Herz rein zu halten und friedlich für Ehrlichkeit und Gerechtigkeit zu kämpfen. Bleibt nicht an der Oberfläche der Dinge stehen und misstraut den weltlichen Huldigungen des Scheins, dem Make-Up der Seele, um besser zu erscheinen. Installiert hingegen gut die stabilste Verbindung, die eines Herzens, welches das Gute sieht und unermüdlich vermittelt. Und jene Freude, die ihr umsonst von Gott empfangen habt, bitte, gebt sie umsonst weiter (vgl. Mt 10,8), denn viele warten auf sie, und sie erwarten sie von euch!

Hören wir schließlich die Worte Jesu an Zachäus, die eigens für uns gesagt scheinen, für jeden von uns: » Komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein « (V. 5). „Komm schnell herunter, denn heute muss ich bei dir zu Gast sein. Öffne mir die Tür deines Herzens!“ Jesus richtet dieselbe Aufforderung an dich: „Heute muss ich in deinem Haus zu Gast sein.“ Der Weltjugendtag, könnten wir sagen, beginnt heute und geht morgen zu Hause weiter, denn dort will Jesus dir von nun an begegnen. Der Herr will nicht nur in dieser schönen Stadt oder in den lieben Erinnerungen bleiben, sondern er möchte zu dir nach Hause kommen, in deinem Alltagsleben wohnen: im Studium und in den ersten Arbeitsjahren, in den Situationen von Freundschaft und liebevoller Zuneigung, in den Plänen und den Träumen. Wie gefällt es ihm, wenn all das im Gebet vor ihn getragen wird! Wie hofft er, dass unter all den Kontakten und Chat des Alltags an erster Stelle der goldene Faden des Gebetes stehe! Wie wünscht er sich, dass sein Wort zu jedem deiner Tage spreche, dass sein Evangelium das Deine werde und dein „Navigator“ auf den Straßen des Lebens sei!

Während Jesus dich bittet, zu dir nach Hause kommen zu dürfen, ruft er dich beim Namen, wie er es mit Zachäus getan hat. Uns alle ruft Jesus beim Namen. Dein Name ist ihm kostbar. Der Name Zachäus erinnerte in der Sprache der Zeit an das Gedenken Gottes. Vertraut dem Gedenken Gottes: Sein Gedächtnis ist keine „Festplatte“, die alle unsere Daten registriert und archiviert; sein Gedächtnis ist ein Herz, das weich ist vor Mitgefühl, das Freude daran hat, jede Spur des Bösen in uns auszulöschen. Versuchen nun auch wir, das treue Gedächtnis Gottes nachzuahmen und das Gute, das wir in diesen Tagen empfangen haben, zu bewahren. Im Stillen gedenken wir dieser Begegnung, bewahren wir die Erinnerung an die Gegenwart Gottes und seines Wortes, lassen wir in uns die Stimme Jesu, die uns beim Namen ruft, wieder aufleben. So beten wir schweigend, indem wir uns erinnern und dem Herrn danken, der uns hier haben wollte und uns begegnet ist.